
Unser interaktiver AI Hub informiert über Trends und Entwicklungen
Hat der Auftragnehmer dem Auftraggeber im Rahmen des Bauvertrags die Einhaltung vertraglicher Ausführungsfristen zugesichert, stellt ihn das Coronavirus SARS-CoV-2 nunmehr vor erhebliche Herausforderungen: Arbeitnehmerausfälle auf Grund von Quarantäneanordnungen oder Einreisbeschränkungen, Materialmangel und Unterbrechungen von Lieferketten.
Sind im Vertrag keine Optionen zur Fristenverlängerung vorgesehen, können die Vertragsparteien bei einem Bauvertrag unter Einbeziehung der VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B) im Einzelfall auf § 6 Abs. 2, Abs. 4 VOB/B zurückgreifen. Anderenfalls kann auch eine Anpassung der vertraglichen Regelungen über § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommen.
Kommt es zu Behinderungen im Bauablauf des Auftragnehmers und können Ausführungsfristen, d.h. verbindliche Fristen i.S.v. § 5 Abs. 1 VOB/B auf Grund eines Behinderungsgrundes, wie bspw. höherer Gewalt oder wegen anderer, für den Auftragnehmer unabwendbaren Umstände (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/B) von ihm nicht eingehalten werden, kommt eine automatische Verlängerung der Ausführungsfristen nach Maßgabe des § 6 Abs. 4 VOB/B in Betracht. Dabei ist die Frage, ob es sich bei SARS-CoV-2 um den Behinderungsgrund der höheren Gewalt oder um andere unabwendbare Umstände handelt, nicht streitentscheidend, da beide Ereignisse – abhängig vom Einzelfall – zur selben Rechtsfolge führen. In jedem Fall muss der Auftragnehmer die den Behinderungsgrund begründenden Umstände darlegen und beweisen; ein pauschaler Verweis auf SARS-CoV-2 oder höhere Gewalt reicht nicht aus. Auch das Bundesinnenministerium hat hinsichtlich der Baustellen des Bundes in einem entsprechenden Erlass dargelegt, dass sich Bauunternehmen wegen der Corona-Pandemie hinsichtlich etwaiger Bauablaufstörungen auf höhere Gewalt berufen können. Dies aber eben nur dann, wenn eine Prüfung der dargelegten Gründe einen Zusammenhang mit der Infektionswelle bestätigt. Dementsprechend kann sich der Auftragnehmer auch nicht auf eine rein vorsorgliche Baueinstellung berufen. Zwar ist es noch offen, ob diese Sichtweise auch auf private Auftraggeber durchschlägt, zumindest könnte diese jedoch präjudiziellen Charakter haben, denn der Erlass ist weiten Teilen der Immobilienbranche mittlerweile bekannt.
Wesentlich und erforderlich für die automatische Fristenverlängerung ist eine wirksame Behinderungsanzeige, § 6 Abs. 1 S. 1 VOB/B. Auch wenn SARS-CoV-2 mittlerweile omnipräsent ist, sollte nicht auf Grund einer „Offenkundigkeit“ des Behinderungsgrundes von einer solchen Anzeige abgesehen werden, § 6 Abs. 1 S. 2 VOB/B. Nur in Einzelfällen wird der Auftraggeber wirklich die geforderte positive Kenntnis hinsichtlich der konkreten Baumaßnahme haben, welche wegen des Behinderungsgrundes nicht wie im Bauablaufplan vorgesehen ausgeführt werden kann.
Der Grundsatz der Vertragstreue (pacta sunt servanda) gebietet, dass Vertragsanpassungen an veränderte Umstände nur unter den strengen Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB möglich sind. Die Anwendbarkeit der Norm ist stark vom Einzelfall abhängig, insbesondere der Wille der Parteien sowie die gesetzlichen und vertraglichen Regelungen zur Risikoverteilung sind entscheidend und können dem Rückgriff auf § 313 Abs. 1 BGB im Einzelfall entgegenstehen. Dementsprechend ist die Anpassung von vertraglichen Regelungen anhand der konkreten rechtlichen Situation einzelfallabhängig zu prüfen.
Je nach Fallgestaltung könnte aber eine Anpassung der vertraglichen Fristen auf Grund der Störung der Geschäftsgrundlage über § 313 Abs. 1 BGB möglich sein:
Bilden grundsätzlich stabile wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen die Grundlage für den Vertragsabschluss und wird diese durch den Ausbruch von SARS-CoV-2 gestört, kann der Vertrag an die geänderten Umstände angepasst werden. Voraussetzung ist, dass die Vertragsparteien – hätten sie dies vorhergesehen – den ursprünglichen Vertrag mit anderem Inhalt, bspw. mit großzügigeren Fristen und entsprechendem Bauzeitenplan geschlossen hätten. Das Festhalten an den unangepassten Vertragsbedingungen muss einem Vertragsteil dabei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und der vertraglichen sowie gesetzlichen Risikoverteilung nicht zumutbar sein.
Lassen Sie sich nicht von marktschreierischen Beiträgen verunsichern, die behaupten, ein Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB bestünde in jedem Fall. Es gibt Argumente dafür und dagegen. Am Ende ist insbesondere die zugrundeliegende Situation im Einzelfall entscheidend. Wie die Gerichte diese Fälle letztendlich beurteilen werden, kann aber niemand vorhersagen. Es sollte daher sehr gründlich abgewogen werden, ob man diese Unsicherheit und die mit ihr verbundenen Risiken in Kauf nehmen will.
Auftragnehmern ist zu empfehlen, frühzeitig die Auswirkungen von SARS-CoV-2 anhand ihres Bauablaufplans zu prüfen und gegebenenfalls bei dem Verdacht der Behinderung des Bauablaufs eine schriftliche Anzeige gegenüber dem Auftraggeber abzugeben. Wenngleich der bloße Verdacht einer Behinderung noch nicht für eine Verlängerung der Frist ausreicht, kann er aber gestützt auf nachweisbare Fakten die Anzeigepflicht auslösen. Auftraggeber sollten sich hingegen nicht mit einem pauschalen Verweis auf die Corona-Krise zufrieden geben, wenn sie eine Behinderungsanzeige erhalten, sondern diese in einem solchen Fall umgehend zurückweisen und eine konkrete und umfassende Darlegung der Behinderungsgründe verlangen.
Neben der Frage nach der Ausgestaltung wirksamer Behinderungsanzeigen oder einer etwaigen Anpassung der vertraglichen Regelungen im Einzelfall, stellen sich noch viele weitere rechtliche Fragen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 für Auftragnehmer und Auftraggeber.
Gerne stehen wir Ihnen bei Fragen oder Rechtsunsicherheiten durch rechtliche Prüfung der vertraglichen Regelungen und der in Ihrer konkreten Situation anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften zur Seite.
Verfasst von Sabine Reimann, Dr. Norbert Heier, and Ulrike Janssen.