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Auch bei Übernachtung mit weiteren Leistungen anwendbar: Was bedeutet die „Gutscheinlösung“ für die Betroffenen?
Die Tourismusbranche ist eine von der Corona-Pandemie am stärksten betroffenen Branchen. Reisebewegungen sind weltweit nahezu zum Erliegen gekommen. Unzählige Reisen und Veranstaltungen mussten in den vergangenen Wochen abgesagt werden; viele weitere werden wohl noch folgen. Die Veranstalter sehen sich in der Folge mit einer Welle von Erstattungsansprüchen von Kunden konfrontiert, die ihre geplante Reise nicht antreten können oder deren Veranstaltungskarten wertlos geworden sind.
Die Tourismusbranche, allen voran die Reiseveranstalter und die Flugunternehmen, stellt dies vor enorme Herausforderung, die bis zur drohenden Insolvenz reichen.
Die Bundesregierung schlägt daher nun in Zusammenarbeit mit diversen Ministerien Änderungen des Pauschalreiserechts, der EU-Flugastrechteverordnung und des nationalen Rechts vor. Nach Vorstellung der Bundesregierung sollen Kunden von Pauschalreisen und Flugpassagiere, sowie Inhaber von Tickets für Kultur-, Wissenschafts-, Sport- oder sonstige Freizeitveranstaltungen künftig anstelle von Rückerstattungen in Geld, Gutscheine erhalten, wenn Reisen oder Veranstaltungen auf Grund der Corona Epidemie abgesagt wurden.
Die Bundesregierung plant zur Umsetzung der angestrebten Änderungen, die EU-Kommission im Namen der Bundesregierung aufzufordern, unverzüglich zu handeln und für eine einheitliche europäische Regelung zu sorgen. Verbindlich ist hier also noch nichts – der Vorschlag müsste nämlich auch noch das Europaparlament und den Rat der Europäischen Union passieren.
Die geplanten Änderungen betreffen Pauschalreisen, Flugreisen und sonstige Veranstaltungen. Betroffen sind damit zunächst Reiseveranstalter im Sinne des § 651a BGB. Der Begriff des Reiseveranstalters ist im Gesetz umschrieben als derjenige „der verschiedene Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise zusammenstellt“. Anbieter von Pauschalreisen sind damit vor allem die großen Reiseveranstalter wie TUI, DER Touristik oder all Tours, aber auch Reisebüros und Online Buchungsportale können selbst Reiseveranstalter sein. Daneben können dies auch Beherbergungsbetriebe und Beförderungsunternehmen sein, sofern sie mehrere Reiseleistungen (z.B. Übernachtungen in Verbindung mit Veranstaltungstickets) anbieten.
Im Bereich der Rückerstattung für annullierte Flüge betreffen die Änderungsvorschläge die EU-Flugastrechtsverordnung. Betroffen sind damit die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft. Dies sind solche, die über eine gültige Betriebsgenehmigung verfügen, die unionsrechtlichen Vorgaben entspricht. Bei der Einordnung von Luftfahrtunternehmen ist vor allem ausschlaggebend, ob das Flugunternehmen seine Niederlassung in der EU hat. Ferner fallen in den Anwendungsbereich der EU-Fluggastrechteverordnung Flüge, die von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats aus angetreten werden.
Geplant ist, dass Reiseveranstaltern von Pauschalreisen und Luftfahrtunternehmen das Recht eingeräumt wird, bei Pandemie-bedingten Absagen von Reisen dem Buchenden einen Gutschein in Höhe der Reiseleistung auszustellen, statt diesen in Geld zu entschädigen.
Die Möglichkeit zur Ausstellung von Gutscheinen soll für alle Pandemie-bedingten Absagen von Reisen und Flügen, die vor dem 08. März 2020 gebucht wurden, gelten. Die Gutscheine sollen nach Vorstellung der Bundesregierung bis Ende 2021 befristet sein. Sofern der Kunde bis dahin den Gutschein nicht eingelöst hat, ist der Veranstalter zur Erstattung des Reisepreises in Geld verpflichtet.
Die Gutscheine im Bereich der Pauschalreisen und für sonstige Veranstaltungen sollen zudem gegen eine Insolvenz des Veranstalters abgesichert sein. Die Absicherung soll durch staatliche Rückversicherungen oder die Einrichtung eines Fonds erreicht werden. Für die Erstattung bei Flugreisen ist eine Insolvenzabsicherung nicht vorgesehen.
Für Kundengruppen, denen aufgrund ihrer aktuellen finanziellen Situation die Ausstellung eines Gutscheins anstelle einer Erstattung in Geld nicht zumutbar ist, sollen Härtefallklauseln vorgesehen werden. Hier muss weiterhin eine Erstattung in Geld erfolgen.
Veranstaltern soll auch empfohlen werden, Rabatte für das Einlösen der „Corona-Gutscheine“ vorzusehen, um so Anreize für deren Inanspruchnahme zu schaffen.
Nach derzeitiger Rechtslage haben Reisende nach § 651h Abs. 5 BGB bei abgesagten Pauschalreisen einen Anspruch auf Rückerstattung des bereits gezahlten Reisepreises gegen den Reiseveranstalter. Diese Rückerstattung ist vom Reiseveranstalter unverzüglich, spätestens aber innerhalb von 14 Tagen zu leisten. Eine alternative Erstattung durch Gutscheine sieht das Pauschalreiserecht derzeit nicht vor.
Hinsichtlich gebuchter Flugtickets sieht die EU-Fluggastrechtverordnung (Nr. 261/2004) bei annullierten Flügen das Recht des Ticketinhabers vor, innerhalb von 7 Tagen die Rückerstattung des vollen Flugpreises zu verlangen. Diese Erstattung ist nach derzeitiger Rechtslage grundsätzlich durch Barzahlung, Überweisung oder Scheck zu erbringen. Nur mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts kann die Ausgleichszahlung mittels Reisgutschein und/oder anderer Dienstleistungen erfolgen.
Zur Umsetzung der vorstehend beschriebenen Änderungen im Pauschalreiserecht schlägt die Bundesregierung eine Lockerung der Pauschalreiserichtlinie Richtlinie (EU 2015/2302 vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen) vor, die dann kurzfristig in nationales Recht umgesetzt werden könnte. Die Umsetzung in nationales Recht würde in der Bundesrepublik in erster Linie Anpassungen im BGB, hier §§ 651a–y BGB nach sich ziehen, in denen die Pauschalreiserichtlinie im Wesentlichen umgesetzt ist.
Die Anpassungen der Fluggastrechteverordnung möchte die Bundesregierung durch eine Änderung der europäischen Auslegungsregelungen und Rechtsänderungen erreichen. So soll kurzfristig, etwa durch Erlass einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift als Auslegungshilfe, erreicht werden, dass temporär die Zustimmungsverpflichtung für die Erstattung in Reisegutscheinen durch die Veranstalter aufgehoben wird. Langfristig wird eine Änderung der EU-Flugastrechteverordnung angestrebt.
Letztlich dürfte es sich bei der zeitlich begrenzten Umwandlung der Zahlungsansprüche in Gutscheine, die sich mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Zahlungsansprüche umwandeln, um eine Stundung handeln. Den Veranstaltern wird hiermit Spielraum in der aktuellen Lage gegeben; eine grundsätzliche Entbindung von ihrer Rückerstattungspflicht in Geld oder ihrer Pflicht zur Erbringung der Leistungen ist jedoch nicht bezweckt.
Die EU hat bislang eher ablehnend auf den Vorschlag der Bundesregierung reagiert und hält am Anspruch auf Kostenerstattung (noch) fest. Der für Verbraucherschutz zuständige Kommissar Didier Reynders rät Verbrauchern allerdings dazu, Gutscheine anstelle einer Erstattung nach Möglichkeit freiwillig zu akzeptieren.
Auch im Fluggastrecht zeichnet sich bisher ein ähnliches Bild. Die zuständige Verkehrskommissarin Adina Valean betonte zuletzt, dass nach derzeitiger Rechtslage Airlines zur Rückerstattung verpflichtet seien, wenn der Kunde einen Gutschein ablehne.
Die EU-Kommission arbeitet allerdings ebenfalls an Lösungen zur Behebung der Schieflage, warnt die Mitgliedstaaten aber gleichzeitig vor Alleingängen. Die derzeit in Arbeit befindliche Lösung der Kommission sieht ebenfalls ein System abgesicherter Gutscheine vor. Die Mitgliedstaaten sollen demnach Fonds auflegen, um die Auszahlung von Reisegutscheinen im Insolvenzfall abzusichern.
Auch Verbraucherschützer kritisieren die Gutscheinlösung. Im Wesentlichen argumentieren die Vertreter der Verbraucher damit, dass auch diese aufgrund der aktuellen Situation vielfach in finanzielle Nöte geraten sind (Stichwort: Kurzarbeit) und damit auf die Rückerstattung von Reiseanzahlungen angewiesen sind.
Neben der Bundesrepublik planen weitere Mitgliedsstaaten, sich mit dem gleichen Anliegen an die EU-Kommission zu wenden. Andere Mitgliedsstaaten haben in den vergangenen Tagen (überwiegend im Rahmen von Notstandsgesetzgebung) reagiert und Lösungen für die Reisebranche in ihr nationales Recht implementiert, so zum Beispiel Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande.
Für Reise-, Flug- und sonstige Veranstalter könnte die Umsetzung zu einer vorübergehenden Entspannung der wirtschaftlich angespannten Lage führen. Durch die Ausgabe von Gutscheinen und der damit verbundenen Ersparnis von hohen Rückzahlungssummen, könnte die Liquidität vieler Veranstalter gesichert und eine Insolvenz vorläufig abgewendet werden.
Unsicher wird allerdings sein, ob Kunden die Gutscheine in großem Umfang einlösen oder deren „Verfall“ Ende 2021 abwarten, um dann die Rückzahlung des Reispreises zu erhalten. Sollte eine Mehrheit der Kunden diesen Weg gehen, würden die massenhaften Liquiditätsengpässe bei den Veranstaltern durch die geplanten Maßnahmen lediglich verschoben werden. Hier wird viel davon abhängen, wie sich die Gesamtwirtschaftliche Lage und der Tourismusmarkt in den nächsten Monaten entwickelt und ab wann Reisen und/oder der Besuch von Veranstaltungen wieder wie möglich sein wird. Auch etwaige Rabatte auf Reisepreise bei Einlösung der Gutscheine können das Kundenverhalten womöglich steuern.
Auch auf Seiten der Reisenden könnte die Umsetzung der Gutscheinlösung zu finanziellen Schwierigkeiten führen, da diese durch die Verschärfung der privaten finanziellen Situation vielfach auf eine möglichst schnelle Erstattung in Geld angewiesen sind.
Angesichts der anhaltenden Diskussionen und bestehenden Widerstände bleibt abzuwarten, ob der vorgebrachte Lösungsvorschlag überhaupt umgesetzt wird oder ob Verbraucherschützer und/oder Verbraucher die Rechtmäßigkeit der Regelungen juristisch angreifen werden.