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Die von den für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes („IfSG“) zuständigen Ländern angeordneten Nutzungsuntersagungen bestimmter Angebote von Hotels können gravierende wirtschaftliche Auswirkungen haben. Bereits mit Verordnungen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 16. und 17. März 2020 („Coronaschutzverordnungen„), die auf Grundlage des § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG ergangen sind, ist der Hotelbetrieb durch die Untersagung von touristischen Angeboten stark eingeschränkt worden. Durch den Wegfall touristischer Angebote und damit einer Vielzahl von Übernachtungen entstehen Hotelbetrieben hohe Verluste. Es stellt sich daher die Frage, ob die von den Nutzungsuntersagungen im vorstehenden Sinne betroffenen Hotelbetreiber Entschädigungsansprüche gegen die Länder geltend machen können.
Interne Vermerke des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz („BMJV„) und des Landesgesundheitsministeriums NRW kommen zunächst einmal wenig überraschend zu dem Befund, dass Entschädigungsansprüche für die Absage von Veranstaltungen und Betriebsschließungen nicht bestehen. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen in einer „geleakten“ Grobskizze des BMJV aus März 2020, wonach
„[…] hier nicht mehr einzelne Personen in besonderer Weise von einem besonderen Nachteil materieller oder immaterieller Art betroffen, sondern umfassend teils erhebliche Beeinträchtigungen für praktisch ein ganzes Land erzeugt [werden], deren Ausgleich der klassischen Bewältigung durch Einzelfallbetrachtung sowohl bei der Geltendmachung von Ansprüchen als auch deren ggf. gerichtlicher Durchsetzung nur noch eingeschränkt zugänglich erscheint. Hier sind verstärkt allgemeine Rechtsgrundsätze und wirtschaftspolitische Maßnahmen in den Blick zu nehmen, die aufs Ganze gesehen am ehesten geeignet erscheinen, sachgerechte Lösungen zu erzeugen. […] BMG [Bundesgesundheitsministerium] bereitet allerdings gerade eine umfassende Änderung des IFSG vor, die deutlich über Ergänzungen im Haftungsbereich hinausgehen soll. Die hier dargestellte Rechtslage dürfte daher demnächst überholt sein.“
Auch wenn diese Ausführungen nahelegen, dass sich der Bund perspektivisch mit der Novellierung der Entschädigungsregelungen des IfSG befasst, scheint es gleichwohl angebracht, einen Blick auf die aktuelle Rechtslage zu werfen. Entschädigungsansprüche können sich aus dem IfSG, aber auch aus dem Polizei- und Ordnungsrecht der Länder sowie aus dem allgemeinen Staatshaftungsrecht ergeben.
Geht man davon aus, dass die bislang ergangenen Coronaschutzverordnungen von der in § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG enthaltenen Ermächtigungsgrundlage gedeckt und damit rechtmäßig sind, scheiden Entschädigungsansprüche nach dem IfSG grundsätzlich aus.
So sieht § 65 IfSG nur bei seuchenhygienischen Vorbeugemaßnahmen nach §§ 16, 17 IfSG einen Entschädigungsanspruch vor, soweit Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird. Dem Wortlaut nach gilt die Regelung nicht für Maßnahmen auf Grundlage von § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG.
Auch ein Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG scheidet aus. Nach dieser Vorschrift enthält derjenige, der auf Grund des IfSG als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld. Der Entschädigungsanspruch steht damit nur solchen Personen zu, die als „Störer“ selbst zur Verbreitung des Coronavirus beitragen. Lediglich mittelbar von Betriebsschließungen und sonstigen Maßnahmen betroffene Unternehmen, die als „Nichtstörer“ in Anspruch genommen werden, können sich hierauf unzweifelhaft nicht berufen.
Hotelbetreibern, denen auf Grundlage von § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG die Bereitstellung touristischer Angebote zum Schutz der Allgemeinheit untersagt wird, haben danach keinen Entschädigungsanspruch nach dem IfSG. Zuweilen wird aber eine analoge Anwendung der zuvor genannten Entschädigungsansprüche in den §§ 56 und 65 IfSG auf Hotelbetriebe und sonstige von (Teil-)Betriebsschließungen oder sonstigen Maßnahmen betroffene Unternehmen diskutiert. Es scheint jedoch zweifelhaft, ob eine für eine solche analoge Anwendung der Entschädigungsregelungen erforderliche planwidrige Regelungslücke vorliegt. Dagegen spricht der eindeutige Wortlaut etwa von § 65 Abs. 1 Satz 1 IfSG, der Entschädigungen ausdrücklich nur für Maßnahmen nach §§ 16, 17 IfSG vorsieht. Zudem sind die in einem eigenen Abschnitt des IfSG („Entschädigung in besonderen Fällen“) enthaltenen Entschädigungsregelungen, die insgesamt 13 Paragraphen umfassen, recht detailliert. Der Gesetzgeber hat hier scheinbar bewusst eine differenzierte Betrachtung vorgenommen.
Für eine Planwidrigkeit der Regelungslücke spricht demgegenüber der Umstand, dass – nach der Systematik des IfSG entschädigungslose – Schutzmaßnahmen nach § 28 IfSG nach dem gesetzgeberischen Willen nur gegenüber einzelnen oder mehreren Personen getroffen werden sollten. Nach der Gesetzesbegründung ist § 28 IfSG gerade nicht auf weitreichende Maßnahmen gegen ganze Wirtschaftszweige zugeschnitten. Dies könnte dafür sprechen, dass der Gesetzgeber keine Notwendigkeit für eine entsprechende Entschädigungsregelung gesehen hat. Er hatte solch weitreichende Maßnahmen, wie sie zurzeit auf § 28 IfSG gestützt werden, schlicht nicht vor Augen.
Eine analoge Anwendung der Entschädigungsregelungen des IfSG könnte zudem auch zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen angezeigt sein. So würde anderenfalls den Trägern des Virus ein Entschädigungsanspruch eingeräumt, Hotels, die zum Schutz der Allgemeinheit weitestgehend geschlossen sind, dagegen nicht. Auch der Umstand, dass trotz des weiten Ermächtigungsspielraums der für den Vollzug des IfSG zuständigen Länder und der geringen tatbestandlichen Hürden, kein Entschädigungsanspruch für derart weitreichende wirtschaftliche Folgen besteht, stützt die Annahme einer entsprechenden Anwendung für betroffene Gewerbetreibende.
Einer analogen Anwendung der Entschädigungsregelungen des IfSG bedarf es von vornherein nicht, wenn die zum Vollzug des IfSG angeordneten Maßnahmen zu Unrecht auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützt wurden. So wird diskutiert, ob nicht vielmehr der zu § 28 IfSG in einem Exklusivitätsverhältnis stehende § 16 IfSG die richtige Ermächtigungsgrundlage für die angeordneten Nutzungsuntersagungen für bestimmte Angebote von Hotelbetrieben sei. § 28 Abs. 1 IfSG ermächtigt zwar, bei Vorliegen einer Infektion bzw. eines Infektionsverdachts Maßnahmen gegen Nichtinfizierte zu ergreifen. Die betroffenen Unternehmen stehen aber regelmäßig nicht in dem Verdacht, infizierte Mitarbeiter oder Gäste zu haben. Liegen hingegen Tatsachen vor, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, ermächtigt § 16 Abs. 1 IfSG die jeweils zuständige Behörde, die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit hierdurch drohenden Gefahren zu treffen. Die jeweils zuständige Behörde kann nach dieser Vorschrift also Maßnahmen treffen, um die Allgemeinheit vor den aus dem Auftreten einer übertragbaren Krankheit, wie dem Coronavirus, resultierenden Gefahren zu schützen. Für diese Maßnahmen könnten staatliche Entschädigungsansprüche nach § 65 IfSG zum Ausgleich nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteile gewährt werden. Es kommt insoweit nicht darauf an, welche Ermächtigungsgrundlage die Länder ihren Coronaschutzverordnungen zugrunde legen. Anderenfalls hätten es die Länder durch die Wahl der Ermächtigungsgrundlage gewissermaßen in der Hand, Entschädigungsansprüche auszuschließen. Maßgeblich ist vielmehr, welche Ermächtigungsgrundlage richtigerweise hätte zugrunde gelegt werden müssen. Diese Feststellung und damit insbesondere die Abgrenzung des §16 IfSG von § 28 IfSG obliegt den mit der Rechtmäßigkeit der Coronaschutzverordnungen zurzeit vielfach befassten Gerichten.
Neben den vorangegangenen Ansprüchen sind Entschädigungsansprüche bei der Inanspruchnahme als Nichtstörer nach dem Ordnungsrecht der Länder– etwa nach § 39 Abs. 1 lit. a) OBG NRW – denkbar, sofern die jeweiligen Landesgesetze neben dem IfSG Anwendung finden. Zwar gilt das Ordnungsrecht nur für Maßnahmen der Ordnungsbehörden. Es lässt sich jedoch sehr gut argumentieren, dass die Länder bei Erlass der Coronaschutzverordnungen als Sonderordnungsbehörden agieren. Das IfSG stellt besonderes Gefahrenabwehrrecht dar, wonach den zuständigen Behörden die Aufgaben der Gefahrenabwehr auf bestimmten Sachgebieten – so auch bei der Gefahr der Ausbreitung infektiöser Krankheiten – übertragen sind. Für Sonderordnungsbehörden gelten die Vorschriften des Ordnungsrechts der Länder – etwa nach § 12 OBG NRW – ergänzend.
Die ordnungsbehördlichen Entschädigungsansprüche setzen allgemein voraus, dass die von Betriebsschließungen und sonstigen Maßnahmen betroffenen Unternehmen weder Verhaltens-, noch Zustandsstörer, also keine Verursacher der Infektionsgefahr sind. Soweit keine Infektionen im Hotelbetrieb selbst aufgetreten sind, wird man kaum davon ausgehen können, dass Hotelbetreiber, die Gefahr der Ausbreitung des Corona-Virus unmittelbar verursacht haben. Vielmehr treffen bei einem regulären Hotelbetrieb die Gäste nur vereinzelt aufeinander, sodass schon nicht typischerweise damit zu rechnen ist, dass hierdurch ein Ansteckungsrisiko entsteht. Hotelbetreiber sind daher nicht als „Störer“ zu qualifizieren. Ein Entschädigungsanspruch für die Inanspruchnahme als Nichtstörer kommt danach in Betracht.
Amtshaftungsansprüche nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG dürften demgegenüber grundsätzlich ausscheiden. Unabhängig von der bislang nicht abschließend geklärten Frage der Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen fehlt es regelmäßig an einem vorwerfbaren Verhalten. Man wird kaum annehmen können, dass die Coronaschutzverordnungen ohne Beachtung der erforderlichen Sorgfalt erlassen wurden, denn die mit den Coronaschutzverordnung getroffenen Maßnahmen werden laufend evaluiert und regelmäßig an die aktuelle Situation angepasst. Dabei werden insbesondere auch die Betroffenen und ihre Interessen berücksichtigt. Amtshaftungsansprüche wegen fehlerhafter Umsetzung einzelner Maßnahmen sind dennoch möglich.
Nicht zuletzt ergänzen die subsidiären Ansprüche aus enteignendem und enteignungsgleichem Eingriff das System der staatlichen Entschädigungen. Diese sind gewohnheitsrechtlich anerkannt und werden von der Rechtsprechung aus dem allgemeinen Aufopferungsgedanken der §§ 74, 75 Allgemeines Preußisches Landrecht (PrALR) abgeleitet. Danach besteht ein Anspruch für faktische Eigentumsbeeinträchtigungen durch rechtmäßige bzw. rechtswidrige hoheitliche Eingriffe, vorausgesetzt der Eingriff in das Eigentum, dessen Schutzbereich auch den eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb umfasst, begründet ein Sonderopfer. Ein solcher liegt im Einzelfall vor, wenn die Auswirkungen des Eigentumseingriffs nach Dauer, Art und Intensität so erheblich sind, dass eine entschädigungslose Hinnahme nicht zumutbar wäre. Ein Sonderopfer wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass eine Vielzahl von Unternehmen in Anspruch genommen worden. Vielmehr sind Hotels von der weitgehenden Nutzungsuntersagungen besonders hart betroffen, da über einen nun schon mehrwöchigen Zeitraum nahezu kein Umsatz generiert werden kann, während andere Betriebe weiterhin am Markt agieren können. Eine entschädigungslose Hinnahme scheint unter diesen Aspekten nicht zumutbar. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der BGH (Urteil v. 19.01.2006 – III ZR 121/05) einen Haftungsausschluss aufgrund höherer Gewalt für möglich hält, sofern das Schadensereignis mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann.
Die Frage nach dem Bestehen von Entschädigungsansprüchen lässt sich, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, nicht abschließend beantworten. Gerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage liegen, soweit ersichtlich, noch nicht vor. Umso wichtiger ist es für die von teilweisen oder vollständigen Betriebsschließungen oder sonstigen Untersagungen betroffenen Unternehmen, ihre möglicherweise bestehenden Entschädigungsansprüche bereits jetzt zu sichern, indem um Primärrechtsschutz gegen die staatlichen Maßnahmen nachgesucht wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH können nämlich Entschädigungsansprüche nach dem Rechtsgedanken des Mitverschuldens i.S.d. § 254 BGB ganz oder teilweise ausgeschlossen sein, wenn der Betroffene nicht alle ihm zumutbaren Rechtsbehelfe gegen die schädigende Maßnahme ergriffen hat (u.a. BGH, Urteil v. 26.01.1984 – III ZR 216/82). Insoweit besteht ein sog. Vorrang des Primärrechtsschutzes: Der Betroffene muss dasjenige ihm Zumutbare unternehmen, um den Nachteil möglichst zu vermeiden.
Um zu verhindern, dass zu einem späteren Zeitpunkt geltend zu machende Entschädigungsansprüche gekürzt werden, sollte die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen gerichtlich überprüft werden. Hierfür bietet es sich an, zunächst lediglich einstweilige Rechtsschutzanträge nach § 47 Abs. 6 VwGO (binnen Jahresfrist) einzureichen, um die getroffenen Regelungen vorab auf ihre Rechtmäßigkeit gerichtlich überprüfen zu lassen. Die für die Entscheidung über die einstweiligen Rechtsschutzanträge nach § 47 Abs. 6 VwGO zuständigen Oberverwaltungsgerichte entscheiden erfahrungsgemäß innerhalb weniger Tage über einstweilige Rechtsschutzanträge im Zusammenhang mit Coronamaßnahmen. Abhängig von dem Ausgang der einstweiligen Rechtsschutzverfahren sollte dann je nach Einzelfall entschieden werden, ob ein Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 VwGO zweckmäßig ist.
Verfasst von: Carsten Bringmann, Prof. Dr. Thomas Dünchheim, Marc P. Werner und Dr. Janina Luzius