Drittstaatensubventionen

Wolkiger Text und weit gefasste Begriffe

Die EU hat bemerkenswert schnell eine Drittstaatensubventionsverordnung auf den Weg gebracht. Man hätte sich aber eine bedächtigere Entwicklung und eine durchdachtere Umsetzung gewünscht.

Wolkiger Text und weit gefasste Begriffe

Von Marc Schweda und Florian von Schreitter*)

Seit Jahrzehnten ist das Beihilferecht eine tragende Säule der EU-Wettbewerbsregeln. Der Binnenmarkt – die Herzkammer der europäischen Integration – soll nicht durch staatliche Eingriffe verzerrt werden, die im nationalen Sonderinteresse einzelne Unternehmen mit Vorteilen bedenken, die anderen Marktteilnehmern nicht zukommen. Ein supranationales Gebilde wie die EU ist hierauf in besonders starkem Maße angewiesen – zumal die Taschen ihrer Mitglieder unterschiedlich tief sind.

Doch wieso nur Beihilfen der eigenen Mitglieder kontrollieren, wenn doch auch andere Staaten ihre Unternehmen mit wirtschaftlichen Begünstigungen aufpäppeln? Auch dies kann das EU-Marktgeschehen verzerren. Im Juni 2020 präsentierte die EU-Kommission deshalb ein Weißbuch mit entsprechenden Regelungsvorschlägen. Nur zweieinhalb Jahre später sind diese nun Gesetz, die Drittstaatensubventionsverordnung (DSVO) ist da.

Drei neue Instrumente

Für ein Vorhaben dieser Tragweite ist das ausnehmend schnell. So lagen zwischen dem ersten Entwurf der Fusionskontrollverordnung und de­ren Inkrafttreten 17 (!) Jahre. Und der Vergleich ist durchaus angemessen. Auch die DSVO wird Investitionen und Marktgeschehen in der EU maßgeblich beeinflussen und birgt handels- wie wirtschaftspolitischen Sprengstoff. Man hätte sich daher – so viel sei bereits verraten – nicht nur eine bedächtigere Entwicklung, sondern auch eine durchdachtere Umsetzung gewünscht.

Die DSVO führt drei neue Instrumente ein: eine Anmeldepflicht für Zusammenschlüsse; eine weitere Anmeldepflicht für die Teilnahme an Vergabeverfahren und ein allgemeines Ermittlungsinstrument, mit dem die Kommission von Amts wegen Sachverhalte aufgreifen kann, die zwar nicht anmeldepflichtig sind, aber dennoch kritisch sein könnten.

Dreh- und Angelpunkt ist hierbei der extrem weit gefasste Begriff der „finanziellen Zuwendung“. Er um­fasst im Kern jede finanzielle Besserstellung, die ein Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erlangt hätte und die auch nur indirekt durch einen Nicht-EU-Staat gewährt wird: Kapitalspritzen und Kredite, die Befreiung von üblicherweise zu tragenden wirtschaftlichen Lasten (z. B. durch Steueranreize und -befreiungen), ja selbst die „Bereitstellung oder der Erwerb von Waren oder Dienstleistungen“ durch einen Staat können hierunter fallen.

Anders gesagt: Relevant ist praktisch alles, was positiv für Bilanz oder GuV ist. Zielgerichtet ist das nicht. Und auch ohne Glaskugel lässt sich leicht vorhersagen, dass die korrekte Ermittlung solcher Zuwendungen großes Kopfzerbrechen bereiten wird.

Dabei ist sie von zentraler Bedeutung. Erreichen nämlich die Zuwendungen einen gewissen Umfang, werden die erwähnten Anmeldepflichten ausgelöst. So ist z. B. ein Zusammenschluss anmeldepflichtig, wenn vor dem jeweiligen Vertragsabschluss finanzielle Zuwendungen von mehr als 50 Mill. Euro geflossen sind. Das klingt nach viel, aber: es wird aufaddiert – und zwar über einen Zeitraum von drei Jahren und über alle an der Transaktion beteiligten Unternehmen hinweg, einschließlich aller mit diesen verbundenen Konzerngesellschaften. Zwar ist zusätzlich erforderlich, dass das Zielunternehmen in der EU niedergelassen ist und dort Umsätze von mindestens 500 Mill. Euro erzielt. Die Kommission rechnet allerdings schon heute damit, jährlich mehrere Dutzend Zusammenschlüsse auf Basis der neuen Regeln zu prüfen. Und inflationsbedingt ist künftig wohl eher mit mehr als mit weniger Fällen zu rechnen, die die Schwellen überspringen.

Zudem besteht auch unterhalb der Schwellen keine Rechtssicherheit. Die Kommission kann ihre allgemeinen Ermittlungs- und Eingriffsbefugnisse jederzeit – auch aufgrund politischen Drucks oder von Beschwerden durch Konkurrenten – nutzen, um die Auswirkungen von Subventionen aus Drittstaaten zu prüfen. Ein „safe harbour“ besteht einzig für Zuwendungen, die binnen drei Jahren den Betrag von 200 000 Euro pro Drittstaat nicht übersteigen. Laufen innerhalb dieses Zeitraums dagegen Zuwendungen von mehr als 4 Mill. Euro auf, so gilt eine Verzerrung des Binnenmarktes schon nicht mehr als unwahrscheinlich – wobei für diese Schwelle Zuwendungen aus allen Drittstaaten weltweit addiert betrachtet werden!

Wann eine Marktverzerrung tatsächlich besteht, bleibt allerdings weitgehend im Dunkeln. Klar ist derzeit lediglich, dass hierfür sogenannte „Indikatoren“ relevant sind (z. B. Höhe, Art und Zweck der Subvention oder die Situation des begünstigten Unternehmens) und dass die Kommission positive und negative Effekte der Subvention abwägt. Wie dies konkret erfolgen soll? Unklar.

Senkt die Kommission aber den Daumen, so steht ihr ein Füllhorn an Eingriffsmaßnahmen offen, vom Zwang zur Subventionsrückzahlung bis zur Pflicht zur Vermögensveräußerung. Es ist sowohl angesichts dieser Rechtsfolgen als auch des für die Unternehmen entstehenden Mehraufwands – denn alle sonstigen Prüfverfahren, von der Zusammenschlusskontrolle bis hin zum außenwirtschaftlichen Screening, bleiben nach ihren ganz eigenen Regeln bestehen – unbegreiflich, dass die DSVO mit einem derart wolkigen Text operiert und der Kommission sogar noch drei Jahre Zeit lässt, um ihn mit Leitlinien zu klären.

Das könnte sich als Eigentor erweisen. Natürlich: Das Interesse an einem internationalen „level playing field“ ist nachvollziehbar. Shoppingtouren außereuropäischer Unternehmen, die mit staatlich aufgepolstertem Portemonnaie europäische Unternehmen aufkaufen, lassen sich mit dem Ziel eines fairen Wettbewerbs kaum vereinbaren. Gesetze ohne Rechtssicherheit aber binden Unternehmensressourcen ebenso un­produktiv wie wachsender bürokratischer Aufwand.

Und dieser ist unumgänglich: Denn insbesondere in der Schwebezeit zwischen Oktober 2023 (wenn die Anmeldepflichten greifen) und der Finalisierung klärender Leitlinien ist jedes Unternehmen mit EU-Aktivitäten gut beraten, die von Drittstaaten weltweit erhaltenen Zuwendungen auszuwerten und im Zweifel den Dialog mit der EU-Kommission zu suchen. Das gilt für alle Subventionen der letzten fünf Jahre (so weit schaut die DSVO zurück) und selbst für Unternehmen mit Sitz in der EU. Denn es zählt nur die Herkunft der Subvention, nicht aber ihrer Adressaten.

Der hierfür zu betreibende Aufwand ist immens und trifft mitnichten nur Unternehmen und Subventionen aus „Frenemy-Staaten“ wie China oder Saudi-Arabien, sondern auch aus Singapur, Großbritannien oder den USA. Letztere möglicherweise in besonders starkem Maße, verspricht doch der Inflation Reduction Act genau die Art von Steuervorteilen, die klar im Fokus der DSVO stehen. Sehr gut denkbar, dass dies zwischen Brüssel und Washington weiteres Öl ins Feuer gießt – zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Gemüter abzukühlen schienen.

Doch ist es letztlich nicht allein das Timing, das die DSVO ins politische Zwielicht rückt. Denn der von ihr zu bekämpfende Subventionswettbewerb ist eigentlich schon in vollem Gange – und Brüssel mischt kräftig mit. Denn das EU-Beihilferecht taumelt durch den Krisenmodus, mit erheblichen Lockerungen zunächst aufgrund der Pandemie, dann wegen des Ukraine-Krieges und nun wegen des amerikanischen Subventionsvorstoßes.

Nachschärfung notwendig

Mit Erstaunen kann man dieser Tage beobachten, dass neben Deutschland und Frankreich (traditionell nicht eben begeistert von strengen Beihilfenkontrollen zu Lasten nationaler Champions) selbst die EU-Wettbewerbskommissarin für solche Lockerungen plädiert. Alles nur als „temporary framework“, versteht sich.

Doch werden die gegenwärtigen geo- und handelspolitischen Verwerfungen, gekoppelt mit dem Zwang zur Bekämpfung des Klimawandels, dieses „temporär“ eher verlängern als komprimieren. Ein „permanently temporary“ aber würde nicht nur eine tragende Säule der EU-Wettbewerbsordnung beschädigen. Es würde auch der DSVO die Legitimation entziehen und zum Gesichtsverlust der EU gegenüber ihren Handelspartnern führen.

Europa ist Besseres zu wünschen: eine nachgeschärfte DSVO ebenso wie ein konsequentes Beihilferecht.

*) Dr. Marc Schweda ist Partner und Dr. Florian von Schreitter Counsel Knowledge Lawyer von Hogan Lovells.

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